Einführungsvortrag anlässlich der Eröffnung der Ausstellung
«Von Banalitäten zu feierlichen Ereignissen»
mit Gemälden von Axel Groehl in der Wissenschaftl. Hochschule für
Unternehmensführung (WHU) in Vallendar im Oktober 1999.

Banal, der Begriff «banal» im Umfeld von Kunst, Kultur, Malerei, ist das nicht ein Widerspruch in sich? Irritiert es uns nicht, dass etwas als «banal» bezeichnet wird, mit dem wir hier unsere Zeit verbringen wollen, dass unser Interesse finden oder uns am Ende sogar begeistern sollte? Genau, dieses Wort stößt uns sanft oder sogar unsanft vor den Kopf, und das soll es auch. Schaut her, Ihr Leute, was ich, der Maler Axel Groehl mit banalen Gegenständen anstelle, um sie dann hier und heute – aber auch später oder vielleicht für eine lange Zeit – einem staunenden Publikum feierlich zu präsentieren.

Die Bilder, die Sie gleich sehen werden, vermitteln in ihren festgefügten, unbeweglichen, allerdings groß dimensionierten Rahmen, auf ihren steifen, stramm verpannten Leinwänden gleich zwei Ereignisse von beträchtlicher Dynamik: Und wenn wir genau hinsehen, ziehen sie uns, die Betrachter, mit dem Strudel des Geschehens hinein.

Das erste Ereignis hat allerdings schon in der Vergangenheit – ohne uns – stattgefunden: Ein Gegenstand, ein Hilfsmittel, ein simples Nahrungsmittel, eine Nebensache unseres alltäglichen Lebens, der wir selten Beachtung schenken, die wir nur benutzen, ist dem Maler ins Auge gefallen. Groehl sagt, er suche die Sujets seiner Bilder nicht, er fände sie. Und wenn er ein Sujet findet, dann eignet er es sich an, und wie! Man könnte sagen, rabiat, mit riesigem künstlerischen Appetit. Er lässt nicht eher wieder davon ab, bis er das Thema so oft, von vielen Seiten, mit allen Mitteln seines Könnens behandelt hat, bis dieses Zusammentreffen: «Maler findet den Kern seiner Inspiration und setzt sie um» auf der Leinwand, vor unser aller Augen zum feierlichen Ereignis wird.

So passierte es Groehl schon früher. Mit seinen Themen American Scin, Herzsprung, Shadows, Französische Revolution, die ihm immer zu Serien gerieten und zu «feierlichen Ereignissen», wenn ich an die Rhytmik der Kompositionen und den begabten expressiven Einsatzes der Farben denke.

Aber bei der Produktion der eben aufgezählten «Ereignisse» musste kein Abgrund überbrückt werden. Sie sind mitreißend und eindrucksvoll, aber – wie gesagt – es gab nicht von Anfang an diese Art von Widerspruch: hier banal und hier feierlich, sondern in ihnen findet man wesentliche Zustände der menschlichen Existenz angelegt: Einsamkeit, Überwindung der Todesfurcht oder die Schrecken des Bürgerkrieges, Begriffe, denen Groehl mit künstlerischen Mitteln zu angemessenem Ausdruck verhalf.

In den ganz einfachen Dingen des täglichen Lebens hat der Künstler jetzt also die Herausforderung gefunden, mit der er den «frontalen Angriff auf den Betrachter» (Groehl) wagen will. Banale Gegenstände auf riesigen Leinwänden sind für ihn Mittel, um die Möglichkeiten der Materie auszuloten. Schaut her, wenn ich – Axel Groehl – mit der Tüte, der Suppenkelle oder dem kümmerlichen Blumentopf fertig bin, dann könnt ihr durch meine Kunst erkennen, wie interessant oder wie schön, wie einmalig auch diese Banalitäten sein können.

Aber auf welche Weise bringt der Künstler diese Transformation zustande ? Sein einfachstes Mittel ist die schiere Größe. Ein Apfel, der fast Bildfüllend und wohl einen Meter hoch ist, erhebt sich schon automatisch über die Banalität des Alltags. Aber das ist nur der Anfang! Der Anblick seines Inneren, seiner Blüte und seiner Schale ist durch traditionelle Schichtenmalerei zu einem sinnlichen Triumph der Kunst über die schlichte Natur umgewandelt. Bei dieser Manier werden die Farben nicht auf der Palette gemischt, sondern Schicht für Schicht übereinander platziert. Die raffinierten Glanzlichter auf den Flächen und Kanten, die überraschende Tiefe der Schatten und die feierliche Präsenz der Dinge im Raum kann der Künstler nur erzeugen, wenn er die jeweilige Farbintensität oder auch Blässe vom Malgrund aus an die Oberfläche wachsen lässt. Schicht um Schicht.

Das Handwerkszeug seiner Maltechnik, im subtilen Farbauftrag die Plastizität der Gegenstände auf der zweidimensionalen Leinwand entstehen zu lassen, holte Groehl sich auf den Kunsthochschulen von Mainz und Hamburg, wo er Anfang der Achtziger Jahre Meisterschüler von Professor Andre Gerard war. Diese sichere Grundlage kann er immer wieder verlassen, indem er mit stürmischen Strichen oder fetter Knetmanier die Oberfläche seiner Bilder strukturiert, so dass beinahe nicht nur die Augen zum Abtasten der Banalitäten eingeladen werden, um dann ein Fest der Sinne zu feiern.

Verkohlte, abgebrannte Streichhölzer sind Wegwerfprodukte unserer modernen Welt, eigentlich keines Blickes wert. Irgend etwas muss uns entgangen sein, denn wenn Groehl sie aufhebt, zusammenfügt, ihnen Stand und Licht gibt, wirken sie wie das Arrangement eines bedeutenden Choreographen, der mit dem hoffnungsvollen Rot eines dem Feuer entkommenen Zündkopfes die schwarzen Stecken der Hölzer zu einem pittoresken Hexenballet inszeniert.

Ich hoffe, ich habe Sie nun darauf neugierig gemacht, gleich mit eigenen Augen diesen Weg des Malers zusammen mit seinem Sujets vom Banalen zum feierlichen Ereignis zu beobachten. Aber zwei Fragen, die in diesem Zusammenhang auftauchen müssen, möchte ich noch zumindestens ansatzweise beantworten. Die erste Frage: – auf die zweite komme ich später zurück – basiert auf der Tatsache, dass Ihnen als kunstinteressierten Zuhörern während meiner Ausführung schon der Gedanke durch den Kopf gegangen sein wird, dass Ihnen der banale Gegenstand im Mittelpunkt eines Kunstwerkes einigermaßen bekannt vorkommt.

Sie haben natürlich vollkommen recht. Nehmen wir z. B. den Apfel. Wie oft wurde der Apfel schon gemalt! Im Mittelalter schon stand der Apfel für Verführung und Erkenntnis! Darüber hinaus wurde er wegen seiner anlockenden Farbe und Süßigkeit des Geschmacks als Sinnbild aller sinnlichen Reize und Sünden gemeint und vom Betrachter verstanden. Aber damit ist schon klar, was er in den frühen Zeiten der Gotik und der Renaissance mit der Abbildung der Frucht, die hier nur als Beispiel für viele Gegenstände des Alltags steht, auf sich hatte: sie war immer Bedeutungsträger und attributiv einer Szene untergeordnet. Eine banale Anrüchigkeit konnte es nicht geben.

Aber die Botschaften, die die Künstler in der Darstellung alltäglicher Dinge verbargen und dennoch aussandten, änderten sich immer wieder. Der Maler Jean-Babtist Chardin z. B. gab im 18. Jh. seinem stilleben «Wasserglas und Kanne» so viel bodenständige Ausstrahlung, dass er damit Werte des bürgerlichen Lebens abbildete. Er ließ in diesen Bildern die sinnliche Umsetzung bestimmter Ideen jener Zeit erkennbar werden. Gemeint sind die Zielsetzungen der Aufklärung. Die Menschen sollten aus irrationalen Zwängen befreit werden, die sie bis dahin unter die absolutistische Feudal- und Religionsherrschaft gebeugt hatten.

Das Licht ist hier ein wichtiges Mittel, um die rein materielle Beschaffenheit der Gegenstände malerisch herauszuarbeiten. Übrigens ein Medium, auf das Groehl in seinen Bildern der Alltagsgegenstände nie verzichten wollte.

Es dauerte noch ein gutes Jahrhundert, bis endlich die malerische Darstellung des Banalen zur Eigenwertigkeit gelangte. Als einen Experten möchte ich in diesem Zusammenhang Max Liebermann zitieren – auch, weil sich sein Beispiel der Küchengerätschaften in der Ausstellung – wie Sie noch merken werden, – so prächtig wiederfinden lässt. Er schrieb: «Also vom rein malerischen Standpunkt aus ist Die Schlüsselübergabe von Breda von Velasquez in nichts wertvoller als eines seiner Küchenstilleben; ja sogar könnte ein solches wertvoller sein, wenn Velasquez die Küchengerätschaften besser gemalt hätte als die Heerführer auf dem großen Historienbild. Worauf es hier allein ankommt, ist klar auszudrücken, dass der Wert der Malerei absolut unabhängig vom Sujet ist, und nur in der Kraft der malerischen Phantasie beruht.»

Aber auch dieses Credo wurde bald ad acta gelegt, oder es spielte für die Künstler der Avantgarde keine Rolle mehr. Bei Pablo Picasso und Georges Braque drehte es sich auf vielen ihrer Werke am Beginn dieses Jahrhunderts, auf denen sie die scheinbar alltäglichen, so vertrauten Dinge des Alltags abbildeten, um die Erkenntnis, daß die Wirklichkeit nicht mehr mit den schon existierenden Methoden vermittelbar und erfahrbar sein konnte. Ihr Stil des analytischen Kubismus überließ im Grunde dem Betrachter die Entscheidung, welche Ansicht der Dinge denn die richtigere sei.

Andy Warhols Large Campbell’s soup can von 1965 stellt wieder einen Höhepunkt in der Abfolge der Banalitäten in der Malerei dar. Es kann kann als Hinweis auf die Verflachung menschlicher Beziehungen gelten und als Mahnung vor der Unterwerfung unter die mechanische Vervielfältigung aller Erzeugnisse menschlichen Geistes durch die überbordende Kraft des Materiellen. Die überdimensionale Größe der abgebildeten Gegenstände unseres Alltags tragen übrigens hier – wie bei Groehl auch – dazu bei, in dem Betrachter bestimmte Assoziationen hervorzurufen.

Axel Groehl bekennt sich zu der ideologiefreien Abbildung der Dinge unseres Alltags mit der Absicht allerdings, dass zweite feierliche Ereignis, das ich schon angekündigt hatte, zu initiieren: Es ist die Begegnung zwischen seinem Werk und den Augen und der Fantasie seiner Betrachter. Groehl möchte, dass die Präsenz der Bilder, der man nicht ausweichen kann, uns an das Gegenständliche in der Flüchtigkeit der digitalen Welt bindet, damit wir nicht nur abheben und fliegen, sondern nach wie vor sehen, fühlen und behalten. Manchmal muss er dazu auch eine buchstäbliche Mitteilung an uns auf einem Bild unterbringen.

Neben der Ausstellung der Groehl-Gemälde werden Sie auf eine Fotodokumentation stoßen, in der Dr. Martin Schwelm verschiedenste Befindlichkeiten des Künstlers während der Arbeit, in seinem Hamburger Atelier, an einer der schönsten Elbuferplätze gelegen, festgehalten hat. Wie gesagt, vor dem feierlichen Ereignis liegt die Arbeit.

Wenn ich die Serie der Ölbilder Axel Groehls betrachte, die er hier heute ausstellt und der er den Titel: «Von Banalitäten zu feierlichen Ereignissen» gab, dann schließt sich für mich ein Kreis. Am Beginn dieses Jahrhunderts wurde dieser Kreis mit den beschwörenden Worten der Gertrude Stein: «A rose is a rose is a rose is a rose …» eröffnet. Sie wollte damit die Last der in Jahrhunderten abgelagerter und vielleicht abgegriffener Interpretationen abstreifen und die Rose in einer durch nichts zu vereinnahmenden Realität vor Augen gestellt sehen. Mit Axel Groehls Serie dieser Ausstellung schließt sich in diesem Sinne am Ende des 20. Jahrhunderts der Kreis.

Heute gibt es z. B. eine Tüte – banaler geht es nicht – zubeschauen, eine Tüte, wie wir sie jeden Tag für unsere Einkäufe benutzen, ohne dass wir sie eines Blickes würdigen. Aber auf seinem Ölbild hat der Maler sie übergroß ins Zentrum gerückt, die große Oberfläche des Recyclingpapiers durch ein Leuchten animiert und ihr unscheinbares Beige, mit einem königsblauen, diffusen Hintergrund kontrastiert. Was Sie sehen werden, muss ich Ihnen überlassen. Ich denke, es wird ein feierliches Ereignis.

Bitte, meine Herrschaften, feiern Sie jetzt!

Eva Roland-Schellack, MA
Autorin