Rede von Senator Dr. Fritz Vahrenholt zur übernahme des Rüschpark-Mahnmals am 16. Dezember 1996

vor 51 Jahren und sieben Monaten ist das nationalsozialistische Schreckensregime »in Scherben gefallen«. Es nahm seinerseits das Ende, welches es zuvor der ganzen Welt angedroht hatte. Doch auch nach einem halben Jahrhundert stehen wir noch mitten in der Auseinandersetzung mit diesem mÖrderischen und folgenreichen Abschnitt unserer Geschichte. In diesem Monat wird die gemeinsame deutsch-tschechische Erklärung zur AussÖhnung paraphiert werden – nach mehr als 51 Jahren.

Für Hamburg gilt das gleiche wie für andere Orte: Diktatur und Aufhetzung, Verfolgung und Vernichtung haben nicht irgendwo anders stattgefunden, sondern am eigenen Ort. Und auch hier bedeutet AussÖhnung nicht »Schlussstrich«, nicht »Vergessen«. Schon gar nicht kÖnnen das die fordern, die jene Verbrechen begangen, davon profitiert, sie gutgeheißen oder ihnen zumindest tatenlos zugesehen haben.

Die Zahl der noch lebenden Opfer wird kleiner, und es ist umso mehr die Aufgabe der Stadt, die Erinnerung an das Geschehene wachzuhalten und zu überliefern. »Vernichtung durch Arbeit« gab es auch in unserer Region. 55.000 Menschen aus zahlreichen Ländern Europas sind allein im KZ Neuengamme und seinen Außenlagern in und um Hamburg ums Leben gekommen und ums Leben gebracht worden.

An einige hundert Menschen soll an dieser Stelle hier auf der Rüschhalbinsel erinnert werden. Mindestens 400, nach anderen Quellen noch mehr Zwangsarbeiter aus verschiedenen Ländern haben auf der Deutschen Werft, deren Gelände dieses gewesen ist, für die deutsche Kriegsproduktion arbeiten müssen und hier auf der Halbinsel ein Barackenlager bewohnt, von dem drei Gebäude noch bis in die 50er Jahre gestanden haben.

über das Schicksal dieser Menschen war lange Zeit wenig bekannt, zumindest der Öffentlichkeit nicht. Und es hat leider auch Zeiten gegeben, in denen die Beschäftigung mit der Vergangenheit des eigenen Stadtteils und das Forschen nach einzelnen Lebenswegen von Opfern der NS-Herrschaft keineswegs intensiv betrieben wurde – von Staats wegen nicht und auch von den meisten der einst beteiligten Unternehmen nicht, von denen bis heute nur wenige bereit waren, überhaupt entschädigungen an Zwangsarbeiter zu leisten.

Heute wissen wir, dank der Recherchen einiger engagierter Menschen, daß neunzig der Insassen aus diesem Lager bei einem Bombenangriff auf das Werk Arningstraße ums Leben gekommen sind und dass später, kurz vor Ende des Krieges, bei einem anderen Angriff eine noch hÖhere Zahl von Gefangenen den Tod gefunden hat. Die überlebenden Häftlinge sind evakuiert und zum grÖßeren Teil in das Lager Sandbostel, andere auf Schiffe, unter anderem die »Thielbek« und »Cap Arcona«, gebracht worden. Diese wurden, wie wir wissen, in der Lübecker Bucht angegriffen und versenkt. Ob unter den wenigen überlebenden Gefangene aus Finkenwerder waren, ist unbekannt.

Gedenkstätten und Mahnmale kÖnnen geschehenes Unrecht nicht wiedergutmachten. Sie bezeugen jedoch die Achtung vor den Opfern und ihren AngehÖrigen, und sie geben uns später Geborenen die MÖglichkeit, uns im bekannten Umfeld am konkreten Beispiel wenigstens andeutungsweise ein Bild von dem zu machen, was damals geschehen ist und Menschen angetan wurde.

Dass diese wichtige Aufgabe im Hamburger Süden an verschiedenen Orten erfüllt wird, ist – neben den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Neuengamme – den verschiedenen ehrenamtlichen und privaten Initiativen zu danken, deren Vertreter ich hier auch heute unter uns begrüße, namentlich den Verfolgtenorganisationen sowie den Freundes- und FÖrderkreisen.

Zu danken ist aber auch, speziell den heutigen Anlass betreffend, dem Ortsamt Finkenwerder und seinem Leiter, Herrn Hansen, für die Initiative und natürlich dem Künstler, Herrn Axel Groehl, der das Kunstwerk geschaffen hat, an dessen übergabe und übernahme wir heute gemeinsam teilnehmen.

Herr Groehl hat in enger Zusammenarbeit mit dem Ortsamt und der Gartenbauabteilung dieses Ensemble gestaltet und übergibt es heute an die Stadt Hamburg. Damit haben Sie, Herr Groehl, einen wertvollen Beitrag zur Ausgestaltung dieses Areals und Parks auf der Rüschhalbinsel geleistet. Dafür danke ich Ihnen, und ich bitte Sie nunmehr, uns mit einigen erläuternden Worten Ihr Werk zu übergeben.

Mahnmal Rüschhalbinsel

Eingebunkert, abgeschnitten, eingeschränkt, dies sind Assoziationen zu Mauern.

Eine sechs Meter breite und einen Meter achtzig hohe Betonwand, im Goldenen Schnitt durchbrochen. Im Bruch eine Bronzeplastik.

Zerdrücktes, geschmolzenes Metall, das im oberen Teil ein verhültes Antlitz zeigt.

Man mag denken das Gesicht möchte die düstere Welt nicht sehen.

Nein, das verhüllte Antlitz sieht hinter dem Tuch eine bessere Welt.

Das Werk ist von zehn Ebereschen umsämt, die durch ihr zyklisches Ergrünen und Erkahlen das Leben symbolisiert und als Zeichen der geballten Hoffnung gegen Verzagen, Anfechtung, Verdüste-rung und Resignation stehen und wachsen.

Aqua Viva

Wasser ist der erste Bildhauer, in diesem Werk sind ästhetische Überlegungen dem praktischen Zweck gleichgestellt.

Der Torso wächst unterhalb der Knie aus der Bronze. Im Einklang des Fließens von Wasser über die weibliche Figur, formgebend, strömend wie ein beschützender Film, entsteht das Werk.

Es Strömt über die Bronze wellig dem blauen Granit zu, verschwindet wieder in die Unsichtbarkeit aus der, wie in der Natur, ein Brunnen lebt.

Wie geht’s ?

Unter den Werken der bildenen Kunst sind es zweifellos die Plastiken, welche am deutlichsten im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen.

Während Bilder in Museen oder in Häusern privater Kunstfreunde hängen, stehen Skulpturen auf öffentlichen Plätzen oder in Parkanlagen oder sind Bestandteil des äußeren Schmucks von Gebäuden.

Gewiss wäre es töricht, hieraus Prioritäten hinsichtlich der Bedeutung abzuleiten. Jedoch muss sich die Bevölkerung ob sie es will oder nicht mit diesen Werken auseinandersetzen, denn sie sind öffentlich.

Eine abstrakte, rein aus den Strukturen des Materials gewonnene Figur nennt man eine Stele. Hier haben wir zwei Stelen, – sich gegenüber stehende abstrahierte Körper.

Wenn sich Menschen begegnen die sich kennen, ist wohl die häufigste Frage »Wie geht’s ?«. Dieses »Wie geht’s ?« ist einerseits eine ernst gemeinte Frage nach der Gesundheit, nach dem Wohlbefinden, der Stimmung, nach dem Erfolg unseres Gegenübers.

Andererseits ist es eine Phrase die uns ohne wirkliches Interesse an dem Anderen über die Lippen kommt, sozusagen eine Platitüde, ein kommunikatives Moment ohne jegliche Bedeutung.

1,5Tonnen Bronze,9m²Azul Imperial manifestieren sich zu der Frage »Wie geht’s?« und sind Ausdruck des menschlichen Geistes der durch die Sprache und den Worten, die die Sprache enthält, seine Kraft schöpft.

»Wie geht’s ?« ist auch ein Zeichen, das den Raum um sich herum und auf sich hin gliedert. Die Freiplastik als Raum-Zeichen bewirkt das die Wiedergewinnung des Platzes als Ort der Kommunikation und des Miteinanders neu erlebt wird.

Jenseits der Zeit

Das hochwertige Material ist spezifisch »heutig« – ein Edelstahl, der auch im technischen Bereich für höchste Anforderungen eingesetzt wird.

Eine metallbautechnische Verarbeitung von höchster Präzision, eine sachlich kühle, jedoch nicht kalte Oberfläche von sanftem Glanz, die unter der Einwirkung des Lichtes die plastische Form deutlich zum Ausdruck bringt. Dies alles, abgesehen von seiner Resistenz gegenüber Witterungseinflüssen auch auf Dauer, gibt dem monolitischen Charakter dieser Raumskulptur, die wie aus einem Guss wirkt, seine Präsenz, die in den Raum ausgreift, ihn umschließt und in sein Inneres einströmen lässt.

Diese Raumskulptur ist in einen Millionen Jahre alten Kalkstein verankert, der einst als Ablagerung von Sedimenten und versteinerten Tieren in einem Steinbruch bei Würzburg wieder an die Oberfläche gesprengt wurde, der am Fuße des Urmeeres Millionen Generationen überdauert, die Sintflut erlebt hat und der heute an einem ganz anderen Ort nach vielen vielen Jahren die Inschrift trägt »Zehnter Juli Zweitausendundeins«. Ich habe ihn aus der Ewigkeit geholt, um als Fundament eines von Menschen gemachten Materials zu dienen, dessen Aufgabe es ist, die Zeit zu überdauern, um an dieses Unglück zu erinnern.

Ein Künstler muss nicht die gemeinsame Interpretation eines Wissens teilen. Meine Arbeit und mein künstlerisches Interesse liegen in der Miteinbeziehung des Einzelnen in das Drama, in der Tragik und in der Ironie. Mit Werken, die die Schuld und die Hingabe des Menschen an seine Instinkte zum Ausdruck bringen.

Geschichte besteht nicht nur aus Fakten, sondern auch aus Interpretationen. Der Zyklus zur Französischen Revolution ist eine Betrachtungsweise ohne "Geschichtsmoral".